Monika und die Angst


Um das Prinzip der Ganzheit und der Unterdrückung von Yin-Anteilen im psychotherapeutischen Bereich zu verdeutlichen, möchte ich Ihnen nun ein Beispiel aus einem meiner Seminare für Familienstellen geben. Was Familienstellen ist, werde ich später ausführlich erklären. An dieser Stelle sei zur besseren Verständlichkeit nur gesagt: Beim Familienstellen versucht man mithilfe sogenannter Stellvertreter, die zum Beispiel Mutter, Vater oder Geschwister darstellen, Lösungen zu erarbeiten, indem sich die Stellvertreter im Raum bewegen und durch den Therapeuten geführt miteinander sprechen.

Dabei ist das Faszinierende und Unerklärliche, dass sich diese Stellvertreter in die jeweiligen Personen einfühlen können und sich oft bis hin zu genauen Redewendungen wie die dargestellten Personen verhalten, obwohl sie diese noch nie gesehen haben. Stellvertreter können dabei nicht nur reale Personen, sondern auch Persönlichkeitsanteile von Klienten darstellen, wie im folgenden Fall zu sehen ist.


Angst kann lähmen
In ihr steckt aber genauso viel Kraft
Bild von Anemone123 auf Pixabay

Monika

Monika (Name geändert) erzählt, dass sie seit etwa zehn Jahren unter Panikattacken und allgemeinen unbestimmten Angstgefühlen leidet. Am Anfang waren die Symptome sehr heftig. Sie hatte starke und häufige Anfälle und konnte in diesen Situationen nicht alleine sein. Ihre Eltern konnten mit der Situation nicht umgehen, und vor allem ihr Vater nimmt die Erkrankung bis heute nicht ernst. Medikamente sprachen überhaupt nicht an.

Sie hat insgesamt sechs Jahre Psychotherapie hinter sich, hat ihre Kindheit analysiert und kann jetzt mit der Krankheit umgehen. Trotzdem kommt es immer wieder zu Panikattacken, und auch die unbestimmten Angstgefühle sind noch da. Monika hat genug davon. Die Angst soll endlich weggehen, sie will sie loswerden.

Dieser Text stammt aus
meinem Buch
Eins werden Eins sein

Weder in ihrer Kindheit noch in ihrer Familiengeschichte lässt sich ein Erlebnis finden, das man als große Verletzung betrachten könnte. Das einzig Gravierende, das ihr einfällt, ist die Zeit, in der ihre Mutter sie austrug. Die Familie war gerade erst umgezogen, und die Mutter hatte in der Zeit der Schwangerschaft Angst und wohl auch Depressionen. Sie blieb meist zu Hause. Der Vater war durch seinen Beruf viel unterwegs und machte sich offenbar auch noch einen Spaß daraus, die Mutter zum Beispiel mit einer Dracula-Maske zu erschrecken. Er nahm auch ihre Ängste nicht ernst.

Die Aufstellung

Nachdem ich erst eine klassische Familienaufstellung mit ihrer Mutter und ihrem Vater versucht hatte, sich daraus aber nichts ergab, brach ich die Arbeit ab. Aufarbeitung von Kindheitserlebnissen ist ein unerlässlicher Therapiebaustein und bei vielen Klienten ein wichtiger Schritt, der oft Heilung und Lösung bringt. Monika hat dies nun schon viele Jahre praktiziert, die Arbeit hat auch bis zu einem gewissen Grad Wirkung gezeigt, aber des Pudels Kern ist noch nicht zutage getreten. Wir haben in unserer Arbeit bei Klienten, die schon viel an sich gearbeitet haben, oft beobachtet, dass das ewige Wühlen und Aufdecken in der Vergangenheit irgendwann ein Ende hat und diese Stoßrichtung dann ausgereizt ist. So ist es anscheinend auch hier, sonst hätte sich bei der Familienaufstellung etwas gezeigt. Ich beschließe deshalb, mit dem Hier und Jetzt zu arbeiten, und lasse Monika für sich selbst stehen, während ich sie für ihre Angst einen Stellvertreter auswählen lasse.

Es zeigt sich sofort, dass die Angst Monika im Nacken sitzt, sie von hinten umklammert, dass Monika sich dauernd wehrt und sich zeitweise sogar losmachen kann. Aber die Angst ist hartnäckig und kommt immer wieder. Auf Nachfragen bestätigt Monika, dass dies genau ihre innere Situation darstellt. Exakt dieses Spiel spielt Monika seit ungefähr zehn Jahren. Um einen neuen Aspekt einzubringen, wähle ich für die Lösung (wie immer sie auch aussehen mag) einen Stellvertreter aus.

Die Lösung steckt in der Angst

Die Lösung stellt sich daraufhin zu Monika und nimmt sie bei der Hand. Die Angst betrachtet die neue Situation, löst sich von Monika und geht daraufhin auf die andere Seite des Stellvertreters, um dessen Hand zu ergreifen. Schon hier ist deutlich zu sehen, dass die Lösung eine Verbindung zwischen Monika und ihrer Angst darstellt. Aber Monika gefällt die neue Situation nicht. Sie versucht, die Lösung von der Angst zu trennen und mit der Lösung zusammen Abstand zu nehmen. Jetzt fängt das alte Spiel von Neuem an – mit dem Unterschied, dass die Lösung jetzt immer dabei ist. Nach einiger Zeit wird es Monika zu anstrengend. Sie trennt sich von der Lösung und lässt die Angst mit ihr alleine. Die Angst kuschelt sich an die Lösung, und die beiden fühlen sich sichtlich wohl miteinander.

Monika betrachtet das einige Zeit mit äußerstem Missfallen, geht dann auf die beiden zu, reißt die Lösung von der Angst weg und entfernt sich von der Angst. Hier greife ich ein. Auf Nachfragen ist sich Monika der Dynamik, die hier abläuft, durchaus bewusst. Ich frage sie deshalb, ob dieses Verhalten bis jetzt etwas gebracht hätte. Was könnte sie tun, um die Situation grundlegend zu verändern? Leise sagt sie: „Ich müsste die Angst zu mir kommen lassen, sie zulassen und nicht wieder weglaufen.“ Ich stelle ihr die Entscheidung frei, dies auszuprobieren, und sie stimmt dem Versuch zu. Die Angst nähert sich langsam und kommt Monika ganz nahe. Sie stehen sich gegenüber und sehen sich in die Augen. Die Angst wirkt eher wie ein schelmisches kleines Kind, das die ganze Zeit Streiche im Kopf hat.

Monika ist sehr überrascht, dass sich die Angst gar nicht so schlecht anfühlt und auch gar nichts Schlimmes passiert. Ich schlage ihr also vor, sich ganz der Angst zu überlassen. Monika ist einverstanden und legt sich auf den Boden. Die Lösung und die Angst halten ihren Kopf und ihre Hände und wiegen sie leicht. In Monika kommt eine tiefe Traurigkeit auf, und ich bitte sie, diese Traurigkeit zu spüren und zuzulassen. Sie fängt bitterlich an zu weinen.

Die Mutter

In diesem Moment erinnerte ich mich, dass  ihre Mutter während der Schwangerschaft  wahrscheinlich ähnliche Ängste gehabt hatte. Ich habe die Vermutung, dass die Mutter für ihr ungeborenes Kind mental nicht richtig da sein konnte, weil sie so mit ihren eigenen Ängsten beschäftigt war. Wahrscheinlich hat Monika die Ängste ihrer Mutter übernommen und sie stellvertretend für sie erlebt. Sie versucht also, etwas für ihre Mutter zu tragen, das nicht zu ihr gehört, und hat damit schon vor ihrer Geburt begonnen. Wird jetzt die Angst zugelassen, zeigt sich dahinter die tiefe Traurigkeit des Kindes, das die Hilfe der Mutter braucht.

Sich fallen lassen
Bild von FotoRieth auf Pixabay

Ich hole eine Stellvertreterin für die Mutter dazu und lasse Monika sagen: „Bitte Mama, bitte Mama!“. Die Stellvertreterin der Mutter umarmt Monika, bei der sich nun die letzten Hemmungen lösen. Sie kann sich weinend in die Arme ihrer Mutter kuscheln und einfach nur sein. Nach einiger Zeit versiegen ihre Tränen, sie wird ruhiger und atmet tiefer. Ich lasse ihr noch ein wenig Zeit, damit dieses Gefühl weiter in ihr wirken kann, und befrage sie dann nach ihrem Befinden. Sie berichtet, dass in ihr nun eine tiefe Ruhe eingekehrt sei, die sie bis jetzt noch nie kennen lernen durfte. Diese Ruhe hielt den ganzen Seminartag an, und auch in einem Telefongespräch vier Wochen später erhielt ich die Rückmeldung, dass es ihr nach wie vor gut gehe und auch keine Panikattackten mehr auftraten .

An dieser Arbeit ist sehr gut zu sehen, wie stark wir uns oft gegen das Unterdrückte wehren. Doch häufig liegt genau darin die Lösung. In diesem Fall waren unter der starken Abwehr tiefe Trauer und Schmerz verborgen. Gerade das Erleben dieses so lange erduldeten Schmerzes mündete in Ruhe und innerem Frieden. Gefühle, die Monika so noch nicht erlebt hatte.

Ich hoffe der Text war hilfreich für dich!

Liebe Grüße

Klaus

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Kategorien:Allgemein, Bewusstsein, PsychologieSchlagwörter:, , , , , , , , , ,
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