China
Dieser Text stamm aus meinem Buch „Eins werden Eins sein„.
Warum alles aus chinesischer Sicht betrachten? Wir sind doch Westeuropäer und in einer ganz anderen Kultur aufgewachsen. Gilt denn die chinesische Philosophie auch für uns? Ich stelle dann oft die Gegenfrage, was man unter „chinesisch“ versteht und worüber wir eigentlich diskutieren. Wenn wir bestimmte Schlagworte hören, entstehen in uns oft Bilder und Stimmungen. Hören Sie das Wort China, wird das auch bei Ihnen so sein. Bei mir jedenfalls war es so. Ich hatte lange Jahre den Weisen aus dem Fernen Osten vor Augen, der einen reichen Erfahrungsschatz und intuitives Wissen in sich trägt, der selbstdiszipliniert, geistig klar und von unerschöpflicher Energie erfüllt ist und sich über allen Problemen stehend durchs Leben meditiert. Andere denken an eigentümliche Gebräuche, wie den Frauen die Füße zu verkrüppeln oder Schlangen, Hunde und Affenhirn zu essen. Wieder andere sehen das autoritäre Regime, das über zehntausend Hinrichtungen im Jahr vornimmt, jede Opposition brutal im Keim erstickt und seine Wirtschafts- und Weltmacht um jeden Preis ausbauen will.
Wir haben es hier also mit drei völlig unterschiedlichen Sichtweisen von China zu tun, und alle drei haben ihre Berechtigung. Mir geht es aber nicht um diese Bilder, die viel mit der chinesischen Landeskultur zu tun haben. Mir geht es darum, die Essenz des chinesischen Denkens herauszuarbeiten. Im Prinzip kann man jede Philosophie auf einige wichtige Grundgedanken oder Grundlagen reduzieren, die ich die Essenz nenne. Da ich viele meiner inneren Erfahrungen mit Methoden chinesischer Bewegungskünste (Tai Chi und Qi Gong), fernöstlichen Heilverfahren, zen-buddhistischer Meditation und westlicher Psychotherapie gemacht habe, ist mein Zugang zum Leben natürlich stark fernöstlich geprägt. Gleichwohl bin ich Westeuropäer, und so hat mich stets mehr die Essenz als die damit verbundene Kultur interessiert.
Ich möchte Ihnen hier diese Essenz und ihre praktische Umsetzung vermitteln. Deshalb möchte ich Sie bitten, sich eine Auszeit von Ihren inneren Assoziationen zu nehmen und die philosophischen Grundlagen ohne Ihr inneres Bild von China zu betrachten. Auf diese Weise habe ich entdeckt, dass sich viele dieser Grundthesen auch in anderen Kulturen wiederfinden. Da es mir um die Essenz geht, werde ich Sie lediglich mit einigen wenigen chinesischen Begriffen konfrontieren, die ich verwende, weil es im Deutschen dafür keine Entsprechung gibt. Sie müssen sich also nur diese wenigen Wörter merken. Eines dieser Grundprinzipien ist die Vorstellung von Yin und Yang. Zur Einführung möchte ich einen Satz aus dem Tao Te King zitieren. Das Tao Te King wurde vermutlich im 6. Jahrhundert v. Chr. geschrieben, wird Laotse zugesprochen und ist ein Grundlagenwerk des Taoismus.
Unter diesem Himmel können alle Menschen das Schöne als schön erkennen,
denn es gibt ja auch das Hässliche;
alle Menschen können das Gute als gut erkennen, denn es gibt ja auch das Böse.
Sein und Nichtsein erzeugen einander, Schwieriges und Einfaches ergänzen sich,
lang und kurz gestalten einander, hoch und tief streben zueinander,
Stimme und Klang harmonieren miteinander, Vorderseite und Rückseite folgen einander.
Tao Te King 2 (1. Teil)
Laotse. Tao Te King. Zürich 1985
Allgemeines über Yin und Yang
Die Idee von Yin und Yang ist sehr alt und tief in der chinesischen Kultur verwurzelt. Sie wurde zum ersten Mal im 8. Jahrhundert v. Chr. im I Ging aufgeschrieben und besagt vereinfacht, dass es von jedem Ding auf der Welt zwei Gegenstücke gibt und beide nötig sind, um ein Ganzes zu bilden. Sie müssen miteinander harmonieren und ausgeglichen sein, um zu funktionieren und auch die Welt im Gleichgewicht zu halten. Grob gesagt könnte man Yin mit Materie und Passivität und Yang mit Energie und Aktivität gleichsetzen. Die Grundidee der Chinesen und vieler anderer Naturreligionen ist, dass die Welt ein einziger Kosmos ist – ein Gesamtorganismus, der untrennbar mit allem verbunden ist. Doch die alltägliche Realität zeigt uns etwas anderes: Auf der Welt wirken stets zwei gegensätzliche Grundkräfte, sie ist also dual aufgebaut. Alles besteht aus diesen zwei entgegengesetzten Kräften, die von den Chinesen eben Yin und Yang genannt wurden.
Dadurch ergibt sich gleichzeitig ein Widerspruch. Ich habe ein großes Ganzes, das in der Realität jedoch zwei Gegenkräfte in sich vereint. Genau damit beschäftigen sich viele philosophische Schulen und Religionen und versuchen, dieses grundlegende Dilemma mit unterschiedlichen Sicht- und Herangehensweisen zu erklären. Die Chinesen haben diese große Einheit Tao genannt. Und obwohl wir uns an dieser Stelle mit Yin und Yang beschäftigen, möchte ich Sie bitten, die Idee des Tao immer im Hinterkopf zu behalten. Auch wenn das ganze Universum in Yin und Yang aufgeteilt ist und sich dauernd in diesem Gegensatz bewegt, ist es dennoch eins und miteinander verbunden. Aber zurück zu Yin und Yang. Wenn Sie heute ein Buch über chinesische Medizin, Tai Chi, Qi Gong oder Ähnliches aufschlagen, in dem die Begriffe Yin und Yang erklärt sind, werden Sie oft Listen wie in Abbildung 1 finden. Ich habe ebenfalls eine solche Beispielliste erstellt:
Yin | Yang |
Materie | Energie |
Passiv | Aktiv |
Trüb | Klar |
indirekt wirkend | direkt wirkend |
hart, spröde | weich, flexibel |
Sammeln | Zerstreuen |
Energierichtung
innen, unten, hinten |
Energierichtung
außen, oben, vorne |
Kalt | Heiß |
Mond | Sonne |
Unten | Oben |
Negativ | Positiv |
Frau | Mann |
Dunkel | Hell |
Diffus | Klar |
Was sehen Sie? Wunderschöne Einteilungen … die Welt lässt sich in zwei Grundkräfte aufteilen, und mit diesem System erfasse ich alles, was ich mir nur wünsche. Kein Lebensbereich wird ausgeklammert. Erinnert Sie dieses Denken nicht stark an unser analytisches westliches Weltbild, in dem wir immer alles einteilen und zerpflücken und ihm so die Ganzheit nehmen, wie dies etwa in der Schulmedizin immer wieder passiert? Dies kommt daher, dass die chinesische Philosophie im Westen natürlich auch aus westlicher Sicht betrachtet und verstanden wurde. Schließlich gab es in unserer Kultur nichts Vergleichbares. Der chinesische Grundgedanke aber hat das Tao als erstes, Yin und Yang erst als zweites Prinzip.
Man muss sich diese Liste nur ansehen, um zu erkennen, dass hier etwas nicht ganz stimmen kann. Betrachten wir die Yin-Seite, finden wir dort z. B. Frau und Materie. Das würde bedeuten, dass Frauen nur aus Materie bestünden. In der gleichen Spalte stehen auch die Begriffe hart und kalt, dabei sind Frauen im klassischen Sinne eher weich und warm. Wenn Sie an Ihre Kindheit und an Ihre Mutter zurückdenken, gibt es bestimmt auch Frauen, die hart und kalt waren, aber die meisten Menschen assoziieren Weiblichkeit mit den Adjektiven warm und weich. Also kann die Zuordnung Yin und Frau so nicht ganz funktionieren. Denn Frauen bestehen nicht nur aus Materie und Männer nicht nur aus Energie. Es müssen also andere Regeln hier gelten. Die erste große Sache ist wohl die, dass Yin und Yang nicht festen Dinge betrachtet werden, sondern als Etwas, das ständig im Fluss ist. Aus diesen „Bewegungsbeobachtungen“ sind Regeln für Yin und Yang entstanden, die sie in meinem nächsten Artikel lesen können.
Liebe Grüße
Klaus
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